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Inklusiv gestalten — Potentiale im ländlichen Raum

Rückblick auf die Regionalkonferenz Mitteldeutschland in Erfurt

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Grußwort: Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Bild: Melanie Kahl

Dass Barrierefreiheit und Inklusion gerade in den ländlichen Raum gehören, das hat die Regionalkonferenz Mitteldeutschland am 2. November 2023 im Congress-Center der Messe Erfurt eindrucksvoll gezeigt.

Eingeladen hatte der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer, den Architektenkammern aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie dem Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Joachim Leibiger.

Den Dank an alle Partner übermittelte die Präsidentin der Architektenkammer Thüringen, Ines M. Jauck, in ihrem Grußwort. Zu den Potentialen im ländlichen Raum resümierte sie, auch geprägt von ihrer kürzlichen Rückkehr von einer Fachexkursion aus dem Vorarlberg: „Das Bewusstsein für ein solidarisches und gemeinschaftliches Leben, für ein Miteinander in einem barrierefreien, multifunktionalen Dorfzentrum mit Nahversorgung, Kinder- und Altenbetreuung, Bibliothek, Praxis, Verein, Gemeinschaftsgarten und vielem mehr muss gestärkt werden.“ Inklusion, insbesondere im ländlichen Raum, bedeute, dass ganz selbstverständlich alle dazu gehören und mitmachen können.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels mit einer alternden Gesellschaft und der anhaltenden Abwanderung junger Menschen in die Städte, ist die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung, die Gewährleistung von Mobilität und altersgerechtem Wohnen sicherzustellen. Wie Thüringen derzeit aufgestellt ist, erläuterte Dr. Martin Gude, Abteilungsleiter „Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung“ im Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft und schloss: „Sie können erkennen, dass wir in vielen Förderinstrumenten und auch in gesetzlichen Handlungsspielräumen Barrierefreiheit und Inklusion implementiert haben.“ Natürlich sei die Umsetzung ein langer Weg. Doch: „Ich kann Ihnen garantieren, dass wir alles tun, um Inklusion und Barrierefreiheit zu realisieren und damit auch das Grundrecht an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Thüringen umsetzen.“

Dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit noch eine Lücke besteht, rechtliche Rahmenbedingungen noch nicht ausreichend umgesetzt werden und es ergänzende Maßnahmen zur Realisierung braucht, offenbarte dann der Eröffnungstalk. So forderte Joachim Leibiger: „Die Konzepte liegen vor, das Wissen ist da, wir müssen es in die Praxis umsetzen!“ An die planende Zunft gerichtet, äußerte er die große Bitte, die kommunalen Behindertenbeauftragten der Landkreise und kreisfreien Städte Thüringens zu unterstützen und fit zu machen.

Ein Impulsvortrag von Prof. Dr. Claudia Neu, die den Lehrstuhl Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel innehat, beleuchtete die soziologische Sicht zur Daseinsvorsorge und zum inklusiven Gestalten auf dem Land.

Vielfältige Best-Practice-Beispiele aus den Bereichen Gesundheit, Freizeit, Wohnen, Bildung sowie Versorgung und Mobilität zeigten auf, wie mit viel bürgerlichem Engagement und häufig einfachen Mitteln – manchmal gegen örtlichen Widerstand von politischen Akteuren – wunderbare und unkonventionelle Projekte entstehen können, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und vor Ort viel Nutzen bringen.

Ob es die Gesundheitskioske der Stiftung Landleben sind (Pasel-K Architects), die über „Dorfkümmerer“ Hausbesuche und Sprechstunden, teils als Telemedizin, ermöglichen oder eine Kegelbahn, die als neues Freizeitzentrum im Ort Wülknitz hohe Attraktivität hat (KO/OK Architektur BDA), oder die Versorgung über einen Bahn-Hofladen in Rottenbach (baubüro lehniger, Architektur- u. Ingenieurbüro Lindig - Herbst - Lichtenheld, K3L Architektur + Design, atelier le balto) – all dies veranschaulichte, wie der „Niedergang“ eines Ortes aufgehalten und soziale Inklusion und Teilhabe für alle ermöglicht werden kann, sodass der ländliche Raum wieder neue Anziehungskraft erlangt.

Mit dem generalsanierten Freibad in Sömmerda stellte der Erfurter Architekt Carsten Eichholz das erste barrierefreie Inklusionsbad in Thüringen und Deutschland vor (Casparius Architekten & Ingenieure, Carsten Eichholz architektur + energie, Büro für Landschaftsarchitektur Katja Wittmann, Claudia Koch Freie Architektin, Ingenieurbüro Möller + Meyer Gotha). Er bekräftigte, dass insbesondere die kooperative Planung mit behinderten Menschen und Menschen ohne Behinderung zur erfolgreichen Umsetzung beitrug.

In Ellrich, einer Kleinstadt mit circa 5.500 Einwohnern im Landkreis Nordhausen, entstand eine Wohnanlage mit elf barrierefreien Wohnungen samt öffentlichem Café und privater Akademie. Architektin Katrin Klima plante multifunktional nutzbare Wohnungen, bei denen die Aufteilung von Küchen, Schlaf- und Wohnzimmern jederzeit veränderbar ist. Das Café „Am Schwanenteich“ hat sich fest etabliert, die Akademie bietet ein umfangreiches Fortbildungsprogramm wie auch öffentliche Veranstaltungen an.

Architekt Florian Hallmann präsentierte ein neues zukunftsweisendes Gebäude in Hohenberg-Krusemark in der Altmark, das der Betreuung von Kindern und Senioren unter einem Dach dient. Die Idee zu dem hierzulande wenig verbreiteten Konzept ging von der Gemeinde selbst aus. Als Reminiszenz an den Ort ziert ein Reetdach das Haus; die verwendeten Materialien haben einen geringen ökologischen Fußabdruck und sorgen für ein angenehmes Raumklima.

Vorgestellt wurde schließlich von Dr. Markus Rebstock die Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Er sprach zudem über barrierefreie Mobilitätsketten und Infrastruktur im dörflichen Kontext.

Ein kurzweiliges Podiumsgespräch beschloss die Konferenz. Teil der illustren Runde waren neben Jürgen Dusel, Dr. Markus Rebstock, Katrin Klima und Frieder Kreß, Vorstandsmitglied der AKT, auch Martin Müller, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, sowie Marco Pompe, Inklusionsbeauftragter Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. – ISL und Fachwart Rollstuhlsport im Thüringer Behinderten-Reha-Sportverband e. V.

Jürgen Dusel betonte, dass es stets der Expertise und Kreativität der Architektinnen und Architekten und Ingenieurinnen und Ingenieure aller Fachrichtungen bedarf, damit qualitätsvolle und intelligente bauliche Umsetzung ermöglicht wird. Er sieht Barrierefreiheit als Standard für ein modernes Land, da es ein Qualitätsmerkmal sei: „Es macht einfach keinen Sinn, Barrieren zu bauen.“

Die gut besuchte Regionalkonferenz moderierte wieder ZDF-Sportjournalistin Katrin Müller-Hohenstein. Die nächste Regionalkonferenz „Inklusiv gestalten“ wird in Karlsruhe von der Architektenkammer Baden-Württemberg am 4. März 2024 ausgerichtet.

Robert Jöst (BAK) / Björn Radermacher

Präsentationsfolien der Vorträge und weitere Impressionen:
www.architekten-thueringen.de/inklusivgestalten/

veröffentlicht am 22.11.2023 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit, Berufspraxis

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