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Rettet Erfurter Wohndenkmal!

Beitrag von Prof. Joachim Deckert

Inzwischen wissen es alle: die Einwohnerzahlen in den neuen Bundesländern gehen zurück. Zum einen resultiert dies aus dem Geburtenrückgang, zum anderen fliehen die Menschen an die volleren Töpfe in anderen Bundesländern. Diese Flucht geschieht in erster Linie um dem verheerenden Arbeitsmarkt zu entkommen, für den man sich eine schnelle Besserung nur ersehnen kann.Der Bevölkerungsrückgang jedoch hat Auswirkungen auf die Städte und deren Funktionieren. So auch in Erfurt.

Bei dem Überangebot von Wohnungen sollte man meinen: Erfurt ist ein Eldorado für günstigen Wohnraum. Die primitivsten Gesetze der freien Marktwirtschaft müssen jetzt greifen: das Überangebot verursacht sinkende Miet- und Immobilienpreise. Diese Niedrigpreise erhöhen die Nachfrage und machen langfristig die Stadt für Anleger und vielleicht eines Tages für junge Familien und Leute mit Ideen wieder attraktiv. Schließlich würden die Mietpreise sich wieder auf ein angemessenes Maß einpendeln.

Der drastische Leerstand von Wohnraum zeigt sich zuerst in den weniger attraktiven Quartieren, wie den Plattenbaugebieten, die als Trabanten die Stadt umlagern. 48% der Erfurter lebten einst in den damals heißbegehrten "Neubauwohnungen". Diese Wohnungen sind nahezu komplett im Besitz der Wohnugnsbaugesellschaften und -genossenschaften. Das bedeutet, knapp die Hälfte aller Wohnungen werden von diesen Unternehmen verwaltet. Mit dieser Monopolstellung lassen sich Mietpreise problemlos beeinflussen, der Wohnungsmarkt wird künstlich gesteuert. Um die Mieten hoch zu halten und sogar zu erhöhen, werden ganze Stadtviertel entmietet und der Verwahrlosung preisgegeben. Städtische Gesellschaften, deren Wirtschaftsgebahren sich nicht den Gesetzen des Marktes beugen muss, können sich Leerstände leisten, ohne in die Lage zu kommen, Immobilien zum Marktwert abgeben zu müssen. Statt sinkender Mieten erfreut sich die Erfurter Wohnungswirtschaft leicht steigender Preise.

Um dies zu erreichen wird neuerdings nicht einmal vor geschützter Bausubstanz halt gemacht. Am nördlichen Rand der Erfurter Kernstadt wurde in den 20er Jahren von dem Hamburger Architekten Otto Jakobsen eine Siedlung für die "Erfurter Wohngemeinschaft " entworfen: maßstäbliche Zeilen bilden mit weiten Wohnblöcken grüne Höfe und vorbildlich gefasste Straßenräume und stellen den Vorläufer für Jakobsens Erfurter Hansaviertel dar. Zu Recht steht die Siedlung unter Denkmalschutz. Seit Jahren wird seine Entmietung betrieben, mit der die Verwahrlosung einhergeht. Noch vor kurzem für die Sanierung vorgesehen, liest man jetzt auf den Internetsseiten der Eigentümerin, der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, dass wesentliche Teile der Siedlung für 2005 zum Abriss vorgesehen sind.

Da keinerlei Planungen vorliegen, die einen Ersatz für die alte Bausubstanz herstellen würden, muss man davon ausgehen, dass hier lediglich überschüssiger Wohnraum abgebaut werden soll. Und das in einer Stadt, wo es beileibe mehr als genug Wohnraum gibt, der alles andere als schützenswert ist.

Es liegt mir fern, Plattenbaugebiete zu diskreditieren. Im Gegenteil: gebündelte Anstrengungen auf hohem Niveau können hier durchaus zeitgemäße, lebenswerte Wohnquartiere schaffen, wie das Beispiel Leinefelde gezeigt hat. Jedoch auch hier scheint weder an Bündeln noch an Qualität gedacht zu werden. Vielmehr steht auch hier der hektische - geförderte - Abriss auf der Tagesordnung. Hektisch, weil die Maßnahmen nichts mit städtebaulichen oder anderen Fachkriterien zu tun haben, sondern der Not gehorchen. Abgebrochen wird alles, was nicht saniert und entmietet ist.

Diese Politik der wahllosen Abrisse führt längerfristig zu einer Ausdünnung nicht nur der Plattenbaugebiete sondern jetzt auch älterer Quartiere. In der Jakobsensiedling sieht man bereits die Folgen: durch den Leerstand werden die kleinen Läden für den täglichen Bedarf Ihrer Kundschaft beraubt. Die Folge sind Konkurse, die wiederum der Wohnqualität des Quartiers abträglich sind. In den Plattenbaugebieten sind die Abrisse folgnschwerer: eines Tages fehlen nicht nur Kunden, sondern auch Kinder für Schulen und Kindergärten.

Das im Erfurter Norden angesiedelte Büro dma (deckert mester architekten)hat sich nun aufgemacht, gegen den Abriss der denkmalgeschützten Wohnanlage von Otto Jakobsen zu kämpfen. Am 13.Dezember fand ein Aktionstag mit Begehung, Podiumsdiskussion und Vernissage statt. Unter dem Thema "Nord ein Abriss" ist im Ausstellungsraum dma s.t.u.b.e. eine Ausstellung zu sehen. Ein Abriss über das Quartier, von seiner Entstehung bis heute. Fotos von Thomas Kummerow dokumentieren den Zustand, ohne die Verwahrlosung allzu sehr zu ästhetisieren. Visionen von Isabell Heinz, Rainer Mester und Joachim Deckert (alle dma) zeigen z.T. ironische Vorschläge für eine künftige Nutzung, die von einer denkmalgerechten Sanierung bis hin zur Wiederbebauung mit spießigen Einfamilienhäuschen, vom Schrottplatz bis zur Teichlandschaft reichen. Die engagierte Mithilfe der lokalen Medien führte bisher bereits zu vielversprechenden, positiven Stellungsnahmen maßgeblicher Politiker.

Die Ausstellung ist nach Voranmeldung bei dma bis Ende Februar zu besichtigen.

Prof. Joachim Deckert, Architekt, dma

veröffentlicht am 21.01.2004 von Susann Weber · Rubrik(en): News

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